5. Engagement für einen Paradigmenwechsel

 

in der Bildungsdebatte

Begründung der Notwendigkeit eines Paradigmenwechsels

Ausgangssituation und Kontext

Die PISA-Ergebnisse haben schlagartig bewußt gemacht, daß Deutschland nicht nur in einer Wirtschafts- und Gesellschaftskrise, sondern auch in einer tiefen Bildungskrise steckt. Diese Erkenntnis hat wie ein Schock gewirkt, und es bleibt zu hoffen, daß er eine heilsame Wirkung haben wird und den Auftakt zu tiefgreifenden Reformen in den Bereichen von Erziehung und Bildung in Deutschland bildet. Die bisherige Bildungsdebatte im Anschluß an PISA berechtigt allerdings noch nicht zu der Hoffnung, daß die Reformen in der erforderlichen Tiefendimension erfolgen werden. Denn sie ist noch immer viel zu sehr auf die institutionellen Gegebenheiten der Bildungsvermittlung fixiert und vernachlässigt darüber denjenigen Faktor, der wie kein anderer über den Bildungserfolg entscheidet: die Persönlichkeitsstruktur der Schüler. Sie hält weiter an der Fiktion fest, Schüler seien heute wie eh und je, und ignoriert die tiefgreifenden Veränderungen in der Persönlichkeitsstruktur vieler Schüler, die zur Folge haben, daß eine ständig größer werdende Anzahl von ihnen nur bedingt oder überhaupt nicht schul- und damit bildungsfähig ist. Dies muß die Bildungsdebatte endlich zur Kenntnis nehmen und als entscheidendes Faktum ins Zentrum ihrer Erörterung der Bildungsproblematik rücken. Sie muß einen Paradigmenwechsel vornehmen.

Zum Begriff Paradigmenwechsel

Paradigmenwechsel in der Bildungsdebatte meint eine veränderte Betrachtungsweise der Bildungsprozesse vor einem erweitertem Horizont sowie eine neue Herangehensweise an die Bildungsproblematik. Die gegenwärtige deutsche Bildungsmisere hat auch darin eine ihrer Ursachen, daß sich in den vergangenen Jahrzehnten ein reduzierter Bildungsbegriff durchgesetzt hat, der dazu führte, daß Bildung weitgehend mit Information verwechselt wurde, so daß der Bildungsprozeß mit dem Vorgang der Informationsvermittlung gleichgesetzt wurde. Danach wäre die Bildung eines Menschen abhängig vom Umfang seines Wissens.

Eine derart reduzierte Auffassung von Bildung verkennt, daß wirkliche Bildung das Resultat eines tiefgreifenden Persönlichkeitsentwicklungsprozesses ist. An ihm ist die gesamte Person beteiligt, nicht nur Gedächtnis und Intellekt. Bildung kommt nicht dadurch zustande, daß der junge Mensch wie ein leerer Behälter mit Informationen "aufgefüllt" wird, sondern sie ist im Kern ein Verwandlungsprozeß, in dessen Verlauf das biologische Naturwesen möglicher Mensch in das Kulturwesen humaner Mensch verwandelt wird. Der Mensch kennt als Naturwesen weder Sozialität noch Moralität (Sigmund Freud). Das zentrale Ereignis des Bildungsprozesses besteht in der Verwandlung von Natur in Kultur, von Animalität in Moralität (Johann Gottfried Herder).

In einer solchen Betrachtungsweise des Bildungsprozesses bildet die Informationsvermittlung mit dem Ziel der Schulung des Intellekts und der Aneignung von Wissen nur einen Teilaspekt des Gesamtprozesses, der viel umfassender ist. Dieser Teilaspekt wird gegenwärtig nahezu absolut gesetzt. Darüber wird weitgehend verkannt, daß der Erfolg der Aneignung von Wissen von einer Vielzahl von Faktoren abhängig ist, von denen die jeweilige Intellektualität (Intelligenz, Begabung) nur ein Faktor unter vielen anderen ist, und zwar keineswegs der wichtigste.

Die Vielzahl der Faktoren, die über Erfolg oder Mißerfolg des jeweiligen individuellen Bildungsprozesses entscheiden, läßt sich im Begriff Persönlichkeitsstruktur oder auch Charakter zusammenfassen. Unter Persönlichkeitsstruktur ist das jeweils individuelle Gefüge und Zusammenwirken der Persönlichkeitsmerkmale zu verstehen. Diese Merkmale sind eher als Voraussetzungen denn als Gegenstände des schulischen Bildungsprozesses anzusehen. Sie sind weitestgehend Resultat der frühen Lebensgeschichte, Ergebnis der frühkindlichen Persönlichkeitsentwicklung, der "Menschwerdung des Menschen" im Prozeß seiner Sozialisation. Der Begriff Sozialisation enthält den Hinweis, daß es sich beim Prozeß der Menschwerdung des Menschen nicht lediglich um die Entfaltung eines genetischen Programms (wie beim Tier) handelt, sondern um ein Geschehen, das maßgeblich von der sozialen Umwelt (Sozialisationsmilieu) mit beeinflußt wird. Deshalb ist das Resultat dieses Prozesses, die jeweilige individuelle Persönlichkeitsstruktur als Ausgangsbedingung des später einsetzenden Bildungsprozesses, entscheidend von der "Qualität" des jeweiligen Milieus abhängig und somit im Augenblick der Geburt ergebnisoffen. Diese Ergebnisoffenheit des Persönlichkeitsentwicklungsprozesses zum Zeitpunkt der Geburt schließt die Möglichkeit des völligen Mißlingens der Menschwerdung des Menschen (Beispiel "Wilde Kinder", die nicht sprechen können und sich auf allen Vieren fortbewegen) ebenso ein wie die Möglichkeit, daß sich gravierende Defizite in Teilbereichen ergeben (Sprachentwicklung, Körperbeherrschung, Konzentration [ADHS], Sozialität, Moralität), wie sie sich gegenwärtig in unserer Gesellschaft auffallend häufen und von vornherein ein vermindertes Bildungsresultat erwarten lassen.

Weil der Erfolg des Bildungsprozesses maßgeblich von den Einzelmerkmalen der Persönlichkeitsstruktur abhängig ist, muß der Prozeß der unmittelbar nach der Geburt beginnenden Persönlichkeitsentwicklung mit in die Analyse des Bildungsprozesses und auch der gesamtgesellschaftlichen Voraussetzungen für erfolgreiche Bildungsprozesse einbezogen werden. Denn das Ergebnis des Bildungsprozesses eines Menschen, das wir seine Bildung und seine Persönlichkeit nennen, setzt sich zusammen aus

Als Konsequenz ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer grundsätzlich neuen Betrachtungsweise der gesamten Bildungsproblematik, eines Paradigmenwechsels. Er besteht in einer erheblichen Ausweitung des Horizontes in der Erörterung der Bildungsprozesse. Der Horizont ist so umfassend zu erweitern, daß nicht nur die Kindergärten und ihr Beitrag zur vorschulischen Bildung ins Visier geraten - das ist inzwischen der Fall -, sondern vor allem auch die Sozialisationsbedingungen, die Kinder in ihrer frühen Kindheit in ihren Familien und darüber hinaus in der gesamten Gesellschaft, insbesondere auch in den Medien, vorfinden.

Ein solcher Paradigmenwechsel hat weitreichende Konsequenzen, denn durch die mit ihm verbundene Horizonterweiterung geraten eine Reihe von Tatbeständen ins Blickfeld der Bildungsdebatte, die bisher weitestgehend ausgeblendet blieben:

Solche und weitere Faktoren, die sich im Begriff gesamtgesellschaftliche Sozialisations-bedingungen der Kinder und Jugendlichen in unserer Gesellschaft zusammenfassen lassen, müssen zum Gegenstand einer Bildungsdebatte vor erweitertem Horizont werden. Das bedeutet nicht nur eine Erweiterung der Perspektive, sondern auch eine Veränderung der Fragestellungen und in diesem Sinn einen Paradigmenwechsel. Er ist überfällig. Denn viele der stichwortartig angedeuteten Gesichtspunkte sind bisher weitgehend vernachlässigt worden. Das ist einer der Gründe für die derzeitige Bildungsmisere.

Kluft zwischen den Anforderungen an die Menschen im 21. Jahrhundert

und den Persönlichkeitsmerkmalen vieler Kinder und Jugendlicher heute

Wer in der globalisierten Welt des 21. Jahrhunderts nicht nur bestehen, sondern diese auch mitgestalten will, wie dies von einem gebildeten Menschen gefordert werden muß, sieht sich vor hohe Anforderungen gestellt. Gefordert ist die lebenskompetente, in sich gefestigte, zur moralischen Verantwortung fähige Persönlichkeit, die zum Verständnis der Welt und zur friedlichen und humanen Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft ihren Beitrag leisten kann.

Während somit die Anforderungen an die persönlichen Qualitäten der Menschen in der globalisierten Welt größer werden, machen sich in unserer Gesellschaft mit steigender Tendenz gravierende Persönlichkeitsentwicklungsdefizite bei Kindern und Jugendlichen bemerkbar, die befürchten lassen, daß die Zahl lebensinkompetenter Erwachsener zunimmt. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen,

Solche Symptome muß die Bildungsdebatte endlich zur Kenntnis nehmen. Sie darf nicht weiter von der Fiktion ausgehen, Schulkinder seien heute wie eh und je, sondern sie muß sich der Tatsache stellen, daß die Zahl der Schulkinder mit erheblichen Persönlichkeitsentwicklungsstörungen, die ihre Schul- und Bildungsfähigkeit ernsthaft in Frage stellen, zunimmt.

Es geht in der Hauptsache um folgende Störungen:

Diese Entwicklung mit insgesamt steigender Tendenz darf die Bildungsdebatte weder ignorieren oder verharmlosen, noch sie als schicksalhaft und unabänderbar hinnehmen, sondern sie muß erkennen, daß sie gesellschaftlich verursacht ist. Deshalb muß sie sich für die Beseitigung der gesellschaftlichen Ursachen einsetzen. Dafür ist ein Paradigmenwechsel in der Bildungsdebatte unbedingt erforderlich.

Persönlichkeitsbedingte Bildungsfaktoren wichtiger als institutionelle Gegebenheiten

Der Paradigmenwechsel ist erforderlich, um die bisher für die Bildungsdebatte typische Verengung des Blickfeldes auf die institutionalisierten Bildungsprozesse zu überwinden. Sie tendiert zur Überschätzung der Bedeutung von institutionellen Gegebenheiten im Hinblick auf die Bildungsresultate sowie zur Unterschätzung der Bedeutung des "menschlichen Faktors" für dieselben. Dieser menschliche Faktor hat im wesentlichen zwei Aspekte:

Erstens: Erfolgreiche Bildung setzt bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und damit einen bestimmten Standard der Persönlichkeitsentwicklung voraus. Ohne hinreichende Ausprägung bestimmter Persönlichkeitsmerkmale kann Bildung nicht gelingen, können intendierte Bildungsprozesse nicht erfolgreich sein. Die wichtigsten Persönlichkeitsmerkmale, die am Beginn eines Bildungsprozesses als Resultat des frühkindlichen Sozialisationsprozesses bereits vorausgesetzt werden und die das Kind infolgedessen bereits in die Schule "mitbringen" muß, sind:

Zweitens: Erfolgreiche Bildung ereignet sich nicht bereits durch Informationsvermittlung, sondern sie ist das Ergebnis personaler Begegnungen (der Lehrpersonen mit ihren Schüler/innen) in Verbindung mit der Vermittlung von Informationen. Kommt diese Begegnung nicht zustande oder wird sie durch Persönlichkeitsentwicklungsdefizite (auf Seiten der Lehrpersonen oder der Schüler/innen) beeinträchtigt, so mindert dies in jedem Fall das Resultat des intendierten Bildungsprozesses.

Die Bildungsdebatte hat bisher nicht oder kaum realisiert, daß die gravierenden Persönlichkeitsentwicklungsdefizite einer ständig größer werdenden Anzahl von Schülern/-innen eine der entscheidenden Ursachen der derzeitigen Bildungsmisere bilden. Dies muß sie endlich zur Kenntnis nehmen.

Der Paradigmenwechsel bedeutet nicht nur eine Veränderung der Perspektive und der Fragestellungen, sondern er hat darüber hinaus erhebliche gesellschaftliche Konsequenzen. Die veränderte Perspektive besteht in der Realisierung der Erkenntnis, daß über den Erfolg des Bildungsprozesses einer Person ganz wesentlich bereits in der Phase ihrer frühkindlichen Sozialisation entschieden wird. Die oben erwähnten für einen erfolgreichen Bildungsprozeß unabdingbaren Persönlichkeitsmerkmale gehören nicht zur "Naturausstattung" des Menschen, sondern sind Resultate seiner Sozialisation, die im Augenblick seiner Geburt prinzipiell ergebnisoffen ist und maßgeblich durch die gesellschaftlichen Umstände (Sozialisationsverhältnisse) beeinflußt wird, unter denen sie erfolgt.

Mangelnde Beachtung wissenschaftlicher Erkenntnisse

über Bedingungen und Gefährdungen gelingender Persönlichkeitsentwicklung

Die Sozialisationsbedingungen, welche die Kinder und Jugendlichen derzeit in unserer Gesellschaft vorfinden, müssen mit in die Erörterung der Probleme von Bildung und Erziehung und der Ursachen der derzeitigen Bildungsmisere einbezogen werden. Dafür muß sich unsere Gesellschaft viel nachhaltiger als bisher die wichtigen Erkenntnisse über die Bedingungen und vielfältigen Gefährdungen des Persönlichkeitsentwicklungsprozesses aneignen, wie sie etwa ab der Mitte des 20. Jahrhunderts durch

gewonnen worden sind. Diese Erkenntnisse stehen der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten im Prinzip gut aufbereitet zur Verfügung, sind aber vom öffentlichen Bewußtsein bis heute nicht wirklich nachhaltig rezipiert worden. Dabei geht es um fundamental bedeutsame wissenschaftliche Erkenntnisse über den Menschen, insbesondere über die Bedingungen und vielfältigen Gefährdungen des prinzipiell ergebnisoffenen und sehr störanfälligen Persönlichkeitsentwicklungsprozesses, die größtenteils in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts gewonnen wurden. Sie sind bis heute nicht nachhaltig und effektiv vom öffentlichen Bewußtsein rezipiert worden.

Öffentliche Debatten, in denen diese Erkenntnisse von Bedeutung wären, werden geführt, als gäbe es sie nicht. Manches elterliche Fehlverhalten gäbe es wahrscheinlich nicht, wenn Eltern anthropologisch aufgeklärter wären und also mehr darüber wüßten, wie sehr sie durch ihre Lebensweise und ihr Verhalten den Persönlichkeitsentwicklungsprozeß ihres Kindes negativ beeinflussen (können) - obwohl sie ihr Kind lieben und es "gut mit ihm meinen". Manche politische Debatte - insbesondere die zur "Betreuungsfrage" der Kinder - würde wahrscheinlich völlig anders verlaufen, wenn es das Problem der anthropologischen Ignoranz der Öffentlichkeit trotz der zur Verfügung stehenden wichtigen Erkenntnisse nicht gäbe. Wer solche Debatten in sozialisationstheoretischer Perspektive verfolgt, kann nur noch feststellen: Sie wissen nicht, was sie sagen und tun. Gemessen am derzeitigen Kenntnisstand der genannten Wissenschaften muß festgestellt werden, daß sich der Bildungsdiskurs in Deutschland durch mangelnde Kenntnis der fundamentalen Bedürfnisse des Kleinkindes und der unabdingbaren Voraussetzungen für eine gelingende, störungsfreie Persönlichkeitsentwicklung "auszeichnet". Es ist nicht übertrieben, in diesem Sinn von einer anthropologischen Ignoranz des öffentlichen Bewußtseins und der öffentlichen Bildungsdebatte in unserem Lande zu sprechen.

Aufklärung der Gesellschaft über wichtige anthropologische Erkenntnisse erforderlich

Eine intensive anthropologische Aufklärung der Öffentlichkeit im Sinn einer offensiven Propagierung der wichtigen Erkenntnisse der genannten Wissenschaften mit dem Ziel ihrer Aneignung durch das öffentliche Bewußtsein ist deshalb dringend erforderlich.

Eine ausführlichere Darlegung von Inhalten der geforderten anthropologischen Aufklärung sowie der politischen und pädagogischen Konsequenzen eines Paradigmenwechsels im Bildungsverständnis können Sie anfordern unter:

Johannes.Schwarte@gmx.de

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Zum Zusammenhang und Persönlichkeitsstruktur und Bildungserfolg

Leserzuschrift in der Frankfurter Allgemeinen vom 08.12.2005

Gelegentlich liegen die meinungsforschenden Statistiker mit ihren Prognosen erheblich neben der Realität, wie die Voraussagen zur letzten Bundestagswahl gezeigt haben. Aber auch zu den Pisa-Veröffentlichungen zu den Chancen zwischen reichen und armen Kindern gibt es andere Erfahrung aus der Realität. Ich habe 25 Jahre lang als Mitglied des Auswahlausschusses der Studienstiftung des Deutschen Volkes Hunderte von als Hochbegabungen vorgeschlagenen Abiturienten und Studenten zu begutachten gehabt. Ich habe keineswegs die Erfahrung gemacht, daß vorgeschlagene Hochbegabungen mit einem überwiegenden Faktor aus gutbetuchten Elternhäusern kamen. Natürlich brachten Kandidaten aus geistig geprägten Elternhäusern oft einen gewissen Bildungsvorteil mit, aber wußten bei weitem nicht immer diesen Vorteil zur Weiterentwicklung einer Begabung einzusetzen. Im Gegenteil: Nicht selten waren diese Kandidaten so hinreichend verwöhnt, daß sie glaubten, mit einem Minimum an Einsatz ein Maximum an Ergebnis zu erreichen.

Dagegen hatte ich manche Hochbegabten-Vorschläge zu begutachten, deren Kandidaten sich mit großer Energie und Zielstrebigkeit aus den engen Fesseln eines in der Regel harmonischen Elternhauses zu lösen trachteten und weit über ein Durchschnittsniveau hinausreichten. Das ist bei weitem nicht überwiegend eine Frage der sozialen Situation des Elternhauses, sondern vielmehr eine solche der Persönlichkeitsstruktur des Kandidaten. Die Geschichte beweist, daß nicht nur Hochbegabungen, sondern auch (nur) Begabungen bei entsprechender Persönlichkeitsstruktur sich durchgesetzt haben. Was die Pisa-Studie vermutlich verfälscht, ist das Problem der Immigranten und damit die Herkunft aus sehr unterschiedlichen Kulturkreisen. Ein Handwerksmeister berichtete mir kürzlich, daß er von fünfzehn Lehrlingsbewerbungen keinen einstellen konnte, weil keiner ausreichend sprechen, lesen, schreiben, rechnen oder mit dem Kunden umgehen konnte. Aber selbst aus diesen zum Teil in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Gruppierungen habe ich immer wieder ausreichend starke Persönlichkeitsstrukturen beobachtet, die sich am Bildungsmarkt zu behaupten wußten. Hauptursache für eine gewisse Bildungsmisere bei Reich und Arm ist das Angebot an flachen Ablenkungen.

Dr. Wilfried Wendhausen, Murrhardt

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Zum Zusammenhang von Sprachentwicklung und Bildungserfolg

DIE WELT vom 21.03.2005

Gestörte Kindersprache

Etwa jeder vierte Schulanfänger in Deutschland hat Sprechstörungen oder Sprachprobleme. Ursache dafür sei oft das Fehlen von Ansprechpartnern oder übermäßiger Fernsehkonsum. Das teilte das Universitätsklinikum Heidelberg bei der Tagung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie mit. Sprachstörungen nehmen ebenso zu wie Verhaltensprobleme. Störungen der kindlichen Kommunikation erhöhen das Risiko psychischer Erkrankungen, weil Sprache und Kommunikation eine wesentliche Grundlage für die gesunde Entwicklung der Persönlichkeit seien. Das betonte auch der Direktor der Heidelberger Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Professor Franz Resch. Mit Blick auf die Pisa-Studien der vergangenen Jahre sagte er, daß Lernprobleme oft mit psychischen Problemen zusammenhingen, die ihren Ursprung in Kommunikationsstörungen im Kindesalter hätten.

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